Straßenbahn - Linie 5 - eine der längsten Straßenbahnlinien der Welt
Seit Dezember 1971 fährt die Linie 5 durchgehend von Halle über Schkopau, Merseburg und Leuna nach Bad Dürrenberg. Die Linie 5 - die "Überlandbahn" - ist mit ca. 31 km Streckenlänge eine der längsten Straßenbahnlinien der Welt und gehört zu den besonderen Attraktionen im ÖPNV.
(© Wikipedia )
Heute ist es schwer vorstellbar, welche Wirkung eine elektrische Straßenbahn vor über hundert Jahren auf die Menschen gehabt haben muss: quietschend, kreischend, ruckelnd, klingelnd, mit dem Durchschnittstempo eines Joggers. Unsere heutigen Vorstellungen von Mobilität greifen da noch nicht.
1846: In Halle und in Merseburg kennen die Menschen immerhin schon die Eisenbahn. Sie begleitet die stürmische Entwicklung der Industrie. Seit 1846 passieren Dampflokomotiven Merseburg auf der Strecke von Halle nach Weißenfels. Die Bevölkerung wächst in dieser Zeit vor allem in den Städten rasant. Postkutschen können den Ansprüchen der Bevölkerung nicht mehr genügen, etwas Neues in der Stadt Halle muss her: Die Pferdebahn wird eingerichtet, erst auf holprigem Pflaster, später auf Schienen.
1891: Doch die allgemeine Entwicklung wird immer rasanter, die Wege zwischen Wohnvierteln und Fabriken länger, das Streckennetz muss erweitert werden. Halle ist stolz, das erste elektrisch betriebene Oberleitungsnetz für Straßenbahnen in Europa zu haben (1891). Das ist ein Novum und Vorbild für viele andere Städte. Die Hallesche Stadtbahn wird von der AEG betrieben und die AEG wird auch über Halle hinaus aktiv. Die ganze Region scheint interessant. Von den großen Chemiewerken ist zwar jetzt noch keine Rede: Das Ammoniakwerk Merseburg, das spätere Großunternehmen Leuna, wird 1916 gegründet; Schkopau erhält seine Bedeutung erst ab der Gründung der Buna-Werke 1936. Aber die Stadt Merseburg, fünfzehn Kilometer von Halle entfernt, Sitz der Bezirksregierung und vieler Behörden, ist attraktiv. Sie besitzt Eisenhütten, Maschinen-, Leder- und Papierfabriken. Im Geiseltal, südlich der Stadt, gibt es gewaltige Lager an Braunkohle, aus denen seit 1905 gefördert wird. 1902: Die AEG expandiert und richtet
1902 die "Elektrische Straßenbahn Halle-Merseburg" ein. Baubeginn ist 1900, die Gesamtstrecke führt vom halleschen Riebeckplatz auf der Chaussee über Ammendorf und Schkopau nach Merseburg. Zunächst wird er Abschnitt nach Ammendorf freigegeben, dann bis Schkopau und am 10. Mai 1902 kann die gesamte Strecke bis Merseburg eröffnet werden. Die fünfzehn Kilometer sind in fünfzehn Minuten zu bewältigen. 1932 geht diese Gesellschaft in der "Merseburger Überlandbahnen-AG" auf, die 1913 als weiteres Unternehmen gegründet worden war und die Straßenbahnstrecke von Merseburg ins Geiseltal baute.
1919: Die Braunkohle, die Chemie, die Industrie und die vielen Menschen, die durch sie Arbeit finden, tagtäglich unterwegs sind, sind aus der Geschichte der Überlandbahnen nicht wegzudenken. 1916 wird bei Leuna das Ammoniakwerk Merseburg (später Leuna-Werke) errichtet, 1936 folgen die Buna-Werke in Schkopau. Die Überlandbahnen bewältigen einen Großteil des Berufsverkehrs zu den chemischen Großbetrieben, allein am Bau der Leuna-Werke sind 25.000 Handwerker beteiligt. Im Februar 1919 fährt erstmals ein Bahn nach Leuna, die Straßenbahnwagen werden regelrecht gestürmt.
1937: Bis zu diesem Jahr gibt es für die Fahrgäste der "Fernbahn" Halle-Merseburg zwei Abteile: für Raucher und Nichtraucher. Die Fernbahn kommt auf die Idee, diese als 2. und 3. Klasse zu deklarieren, mit entsprechend unterschiedlichen Tarifen. Interessanterweise müssen Nichtraucher mehr bezahlen.
1953: Auf den Überlandlinien werden Liniennummern eingeführt: 31, 32, 33 und 34. Diese bestehen bis zu einer Neugestaltung des Liniennetzes 1968, später gibt es nur noch die Linie 5, die bis heute fährt. Ab 1958 wurden schrittweise die einst benötigten Straßenbahnstrecken als Folge der Ausweitung der Braunkohlegruben im Geiseltal teilweise wieder abgebaut.
1963: Während in Halle die Schaffner durch Zahlboxen "ersetzt" werden, fahren sie auf den Überlandlinien weiterhin mit. Die Schaffner und Schaffnerinnen gehörten mit ihren Galoppwechslern lange zu einer Überlandfahrt dazu. In Ammendorf stiegen sie in die Bahnen Richtung Schkopau zu.
1971: Die Linie 5 wird von Leuna nach Bad Dürrenberg verlängert. Mit 31 Kilometern Länge ist diese Linie eine der längsten Straßenbahnlinien Deutschlands - sie endet heute in der Heide in Halle.
1982: Für die Fahrgäste auf den Überlandlinien war es selbstverständlich, dass die Bahn außer ihnen so ziemlich alles beförderte. Sie kamen mit Körben voller Obst du Gemüse, mit einem quiekenden Ferkel oder einer quakenden Gans. Alle machten Platz und waren sich behilflich. Mitunter hielt der Fahrer auf freier Strecke an wegen eines lahmen Mütterchens oder eines Schulkindes. Über den offiziellen Gütertransport berichtet die Zeitung 1982: Gemeinsam mit der Großhandelsgesellschaft "Waren täglicher Bedarf" werden zwei Mal täglich mit ausgedienten und umgebauten Straßenbahnen Lebensmittel und andere Güter nach Merseburg transportiert. Befördert wird bis Ende der 1980er Jahre vieles: Tapeten und Fassbier, Kindernahrung und Zigaretten, Kondensmilch und Drogeriewaren.
1991: Die Hallesche Verkehrs-AG betreibt den gesamten Straßenbahn- und Omnibusverkehr in Halle. Die Überlandbahn ist ein Teil davon.
2010: Die Überlandbahnen in Richtung Merseburg und Bad Dürrenberg werden, vor allem im Berufsverkehr, nach wie vor gut angenommen. In ihren Wagen unterwegs zu sein, ist für Jung und Alt eine Attraktion geblieben.
( © "Lebensader Überlandbahn - 100 Jahre Straßenbahn im Raum Halle-Merseburg", Herausgeber: Hallesche Verkehrs-AG, Engelsdorfer Verlag 2004)